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Selbsterfahrung

Selbsterfahrung

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Whooo: Mein Buch!

Hier schon mal ein Vorgeschmack:

Wie gehst du damit um, wenn du plötzlich vor der Frage stehst: War’s das jetzt? Als Christine Dohler von einem Tag auf den nächsten genau mit dieser inneren Unsicherheit konfrontiert sieht, weiß sie zunächst nicht, wie sie damit umgehen soll. Eigentlich ist ihr Leben doch perfekt: sie ist erfolgreich, gesund, hat einen großen Freundeskreis. Und doch spürt sie eine Sehnsucht in sich, die sie nicht in erklären kann.

Als sie in Hamburg den Dalai Lama für ein Interview trifft, funkt es. Kurzerhand lässt Christine alles hinter sich und stürzt sich in ihr größtes Abenteuer. Ihre Reise führt sie unter anderem in ein Kloster in Nepal, zu einem Kakao trinkenden Schamanen in Guatemala und zu den heißen Quellen Islands. Vor allem aber führt sie ihr Weg zu sich selbst und mitten rein ins Leben!

Am Ende der Sehnsucht wartet die Freiheit ist eine unterhaltsame Inspirationsquelle, sich selbst neu kennenzulernen, den eigenen Träumen und Wünschen zu folgen und endlich das Leben zu führen, nach dem man sich heimlich sehnt.

Eine Leseprobe gibt es hier

Selbsterfahrung

Weniger ist mehr – So geht loslassen!

MEIN NAME IST CHRISTINE, UND
ICH BIN EIN ÜBERFLUSSJUNKIE. In
meinem Bad gibt es Tuben, die ich seit Jahren
nicht angefasst habe. Ich kenne nicht alle meine
Facebook-Freunde. Ich führe pro Tag einen
unsinnigen Chat auf dem Smartphone. Und
natürlich arbeite ich zu viel. Dabei habe ich oft
das Gefühl, es reicht nicht. Ich hätte wirklich
gern mehr Platz für das Wesentliche und würde
gern mehr Gutes in der Welt bewirken. Aber
geht das? Weg mit allem, was mich belastet!
Her mit dem bewussten Simplify-Leben! Einfach
loszulassen und alles anders zu machen
empfinde ich als schwer.
Deshalb schließe ich mich einer Art Selbsthilfegruppe
an, einem Stammtisch der Minimalisten
in meinem Bekanntenkreis. Die acht
Frauen und Männer in den Dreißigern beschäftigt
auch, dass bei allem Überfluss immer die
wichtigen Dinge zu kurz kommen. Wir fragen
uns: Wie kann ich mein Leben entrümpeln? Weniger
grübeln, weniger Zeit verschwenden, weniger
Besitz verwalten und mehr Sinnvolles tun?
Wir tauschen uns ehrlich darüber aus und geben
einander Hausaufgaben wie: das Badezimmer!
Dazu gehört nicht nur, auszumisten, sondern
auch, selbstkritisch zu hinterfragen: Wie viel Zeit
verbringe ich hier? Wie kann ich eine schlichtere
Routine finden? Vielleicht reicht auch Kokosöl
zum Eincremen für den ganzen Körper?
Minimalismus ist ein Trend. In den USA
ziehen Menschen gerade aus ihren geräumigen
Anwesen in Minibuden. Das hat schon Ehen
gerettet! Weniger zu besitzen heißt auch, sich
um weniger kümmern zu müssen. Oft geht es
darum, weniger zu arbeiten, um mehr Zeit für
seine Herzensprojekte zu haben. Und nicht zuletzt
wird es vielen Menschen immer wichtiger,
die Welt durch bewussten Konsumverzicht und
nachhaltiges Wirtschaften zu bereichern. Zu
teilen, zu spenden, niemanden auszubeuten.
Nach mehreren Gruppentreffen erkenne ich,
dass ich zunächst in meinem Alltag Inventur
machen muss: von Versicherungen über Klamotten
bis hin zu ungelösten Konflikten oder
unerfüllten Träumen. Dann gilt es, Überflüssiges
auszumisten, danach neue Gewohnheiten zu
etablieren, beispielsweise nur noch regional
angebautes Gemüse zu kaufen oder für jedes
neue Kleidungsstück ein altes wegzugeben.
Hilfe hole ich mir von meiner Freundin Anne, die
ihren minimalistisch geschulten Blick durch
meine gut aufgeräumte Wohnung schweifen
lässt – und mich dabei mit bohrenden Fragen
bombardiert: „Wann hast du das letzte Mal in
das Buch dort geschaut? Was lagerst du in dem
Schrank da hinten?“ Ich bin nun wirklich alles
andere als ein Messie, aber plötzlich kommt es
mir doch so vor, als ob ich mich mit meinem
Besitz selbst belaste und blockiere. Tatsächlich
finden wir unter meinem Bett eine lange vergessene
Kiste mit Fotos und Briefen von längst
Verflossenen. Meine Freundin schaut mich verschwörerisch
an und sagt: „Wenn du dich
von allem trennst, was du nicht mehr brauchst,
werden ganz viele tolle Dinge in deinem Leben
passieren.“ Das motiviert mich!
Ich will keine Vollzeitminimalistin werden,
weil ich kein radikaler Typ bin. Aber Schritt
für Schritt Ballast abstoßen, das gefällt mir. Es
reicht schon, sich jeden Tag fünf Minuten lang
in seinem persönlichen Umfeld umzuschauen
und dabei zu fragen: Was könnte ich verschenken?
Und vor jeder potenziellen Neuanschaffung
werde ich mir ab sofort die Frage stellen:
Brauche ich das, macht mich das glücklich, will
ich das wirklich? Dabei geht es nicht nur um
das zehnte Paar Schuhe, sondern auch um
neue Bekanntschaften, den dritten Gin Tonic
am Abend, eine weitere App fürs Smartphone,
das nächste aufregende Projekt. Ich prüfe
künftig bei Einladungen zu Facebook-Events:
Muss das sein, oder wäre ein Spaziergang in
der Natur bereichernder? Sich derart in die
Pflicht zu nehmen ist emotional aufwühlend,
auch beängstigend. Wenn man so viel loslässt
und ändert, fragt man sich: Wer bin ich eigentlich
noch? Die neue Leere auszuhalten ist spannend.
Ich habe jetzt schon gefühlt mehr Zeit,
mehr erfüllende Momente, mehr Überraschungen,
letztlich auch mehr Geld und mehr Freiheit.
Ich dachte immer, Minimalismus bedeutet Verzicht
und Einschränkung. Dabei geht es ja um
jede Menge Reichtum. Die neue Leere darf sich
jetzt mit ganz viel Schönem füllen!

Allgemein, Reisen, Selbsterfahrung

Wie geht Nichtstun?

Es ist eigentlich einfach – und dann wieder nicht: dieses Nichtstun. Aber es gibt Momente auf Reisen, da fällt der andere Wahnsinn einfach von einem ab…

Auf Island verbannte ich mich eine Woche in die Natur in eine Hütte fernab der Zivilisation. Ich wollte vor allem eins: Nichts.Aber dann tappte ich doch wieder in die Ablenkungsfalle und war den ganzen Tag aktiv, denn natürlich war der Ballast aus meinem Leben mit mir gereist: Ich warf (wütend) Steine in den Fluss, kletterte (neugierig) hinter Wasserfälle, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt (Nichts!) und redete mit allen anderen Menschen in der Hütte – obwohl ich lieber geschwiegen hätte. Und ich spürte diese Sehnsucht, nachts unbedingt das Nordlicht sehen zu wollen. Doch da man dieses Licht nicht einfach anknipsen kann und es auch keine konkreten Vorhersagen gibt, hockte ich drei Nächte vor der Hütte und starrte ehrgeizig in den Himmel, während drinnen die anderen schnarchten.

Island_Wasserfall

Wasserfall im Osten von Island, nahe Höfn

Es passierte nichts und ich kam mir bei meinem Vorhaben zeitweise einsam bis lächerlich vor. Es machte noch nicht einmal Spaß, es war eher ein Kampf. In der vierten Nacht ging ich übermüdet, kraftlos früh ins Bett. Am nächsten Morgen erzählte jemand von den anderen Hüttenbewohnern, wie er zufällig auf dem Weg zur Toilette ein wunderschönes Nordlicht gesehen hatte. Er schilderte es in allen Formen und Farben. Und dass er alle geweckt hatte, nur ich hatte nichts gemerkt. In mir sammelten sich genau die Emotionen, denen ich keinen Raum mehr geben wollte: Neid, Wut, Trauer, Enttäuschung, Isolation.

In den nächsten Nächten hockte ich wieder draußen. Da tippte jemand an meine Schulter und sagte: „Komm wir gehen jetzt zusammen auf den Berg, dann sind wir näher am Himmel und können das Licht vielleicht besser sehen.“ Ich willigte weniger mit dem Verstand als mit dem Herzen ein, trapste in der absoluten Finsternis den steilen Berg hoch während automatisch das Gedankenkarussell losfuhr: „Wenn ich jetzt einen falschen Schritt mache, stürze ich den Abhang runter…Und was, wenn ich das Nordlicht wieder nicht sehe?…Auf was hast du dich da eingelassen?…Wieso kannst du nicht wie die anderen einfach mal schlafen gehen oder im Robinson-Club Urlaub machen…

Erschöpft vom Denken, vom Vorsatz Nichts zu tun, von der Suche, ließ ich mich auf der Spitze des Berges mit einem Atemzug fallen und streckte mich aus wie eine Marionette, bei der alle Fäden fallen. Ich schaute mit bedingungsloser Hingabe in den Nachthimmel und hörte endlich mit allem auf. Mühelos. Die Müdigkeit wurde dabei zu meinem Freund beim Fallenlassen. Ich spürte das weiche Moos unter mir und wie sich der Bauch meines Begleiters beim Atmen entspannt hob und senkte. Wie bei mir. Schöne, geteilte Leere. Nichts passierte – und doch so viel. Ich spürte Weite, Leichtigkeit, Verbundensein, Wahrhaftigkeit. Etwas öffnete sich. Wie lange das dauerte? Ich hätte es nicht sagen können. Es fühlte sich an wie eine endlose Meditationsrunde, vielleicht war es aber auch nur eine Minute. Ich weiß nur, dass ich mich plötzlich mit allem verbunden fühlte, auch mit mir und alles gut, ruhig, still war – obwohl ich von außen betrachtet irgendwo in Island auf einem finsteren, steinigen Berg lag. Ziellos. Ohne Taschenlampe.

Irgendwann gongte es in mir: Na, dann lass uns mal wieder runter gehen. Und da, als ich gar nicht mehr hoffte, wartete und sehnte, knipste jemand das Nordlicht an.

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Nordlicht im Himmel über Island

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Credit: Kimo Quaintance

 

Der Himmel riss über uns auf und…unbeschreiblich. Ich sah jedenfalls weiß und pink, mein Wegbegleiter grün. Dann ließ ich auch diese überwältigende Freude über das Ende dieser Suche ziehen – und ging endlich schlafen. Bei mir blieb das Gefühl: Alles ist da, alles ist möglich. Es gibt Momente – da fällt der andere Wahnsinn einfach ab.

Meine Empfehlung: Diese Meditation von Stephan Pende Wormland „Stay close – and do nothing“:

http://mindfuldreaming.org/stay-close-and-do-nothing/

Selbsterfahrung

Ich bin Statist. In Bollywood

Der Filmdreh zieht sich hin. Die Regie schreit »Full power!« ins Mikrofon. Am späten Abend wird noch einmal Stimmung gemacht für eine neue Szene: die Eröffnung eines Nobelclubs. Bollywood-Musik dröhnt aus den Boxen. Wie auf Knopfdruck flippen die indischen Schauspieler und Statisten aus, legen wilde Tänze hin. Ich bin mittendrin und doch nicht richtig dabei. Niemand traut mir und den anderen Europäern am Set zu, bei dem Spektakel mitzuhalten. Ich sitze an der Bar und wundere mich, in welche Welt ich da hineingeraten bin.

Ich spiele als Statistin in einer indischen Fernsehserie mit. Den Job habe ich auf der Straße in Mumbai bekommen, wo Scouts nach »western looking people« Ausschau halten. In der Stadt mit den größten Filmstudios der Welt sind die Teams auf Statisten mit westlichem Aussehen angewiesen. Denn viele Filmszenen spielen in London, Kanada oder den USA, werden aber fast alle hier gedreht. Einfach haben es die Scouts nicht. Wohl zieht der exotische Charme Bollywoods junge Individualtouristen an, doch die meisten legen nur einen kurzen Zwischenstopp in Mumbai ein, weil sie auf der Durchreise nach Goa sind. Ich bin geblieben. Ich wollte unbedingt zum Film.

Um die Scouts nicht zu verfehlen, halte ich mich an den Lonely Planet. Der führt mich zu den Lieblingsplätzen der Globetrotter, die zu Bollywoods idealen Komparsen zählen. Im Altstadtteil Colaba bummle ich die Hauptstraße entlang, probiere einen Cheesecake im internationalen Café Leopold, checke Mails in einem der Internetcafés und streife um das Gate of India, das Wahrzeichen der 20-Millionen-Metropole. Über die Bordsteinkanten flitzen hungrige Ratten. Daneben drängeln sich dauerhupende Autos, Rikschas und Motorräder. Die Straße staubt. Der Geruch von Sandelholz und Kardamom aus den Geschäften vermischt sich mit Abgasen und Hitze.

Sobald ich einmal innehalte, drängen sich Bettler und Verkäufer um mich, die große, blonde Europäerin. Reflexartig wehre ich ihr Werben und Bitten ab. Mir kommt es darauf an, irgendwann das Signalwort »Bollywood« aufzuschnappen. An einer Straßenecke, ein paar Meter vom Café Leopold, werde ich erlöst. Ein Inder spricht mich an: »Do you want to be an extra in a Bollywood-Movie? I will pay you!« Er streckt mir eine Visitenkarte mit funkelnden Sternen entgegen. Bollystars heißt seine Agentur. Für die könnte ich morgen eine Businessfrau auf einer internationalen Konferenz in Kanada spielen. Andere Scouts kommen dazu, bieten mir Rollen in einem Werbefilm an und als Hostess auf einer indischen Hochzeit. Schließlich entscheide ich mich für einen Dreh, der schon mittags losgeht: Noch heute werde ich Statistin in der indischen Fernsehserie Einfacher Traum sein.

Mein Scout mit der dunklen Sonnenbrille und einem etwas zu breiten Hollywood-Grinsen sieht nicht gerade vertrauenerweckend aus. Ich bin erleichtert, als ich mittags nicht allein am Treffpunkt McDonald’s in Colaba stehe. Vier Mittzwanziger sind noch dabei. Aus unterschiedlichen Gründen wollen sie am Dreh teilnehmen. Der arbeitslose Australier, der gerade erst gelandet ist, möchte »just some fun« haben. Das französische Paar mit den Rasta-Strähnen braucht etwas Geld für die Reisekasse. Die beiden leben ihren Traum: Ohne Reiseführer sind sie auf dem Landweg bis Indien getourt. Unterwegs haben sie Schauspielworkshops für Waisen organisiert, um den Kindern zu zeigen, dass aus jedem ein Star werden kann. Und dann ist da noch die zierliche Italienerin, die Erfahrungen als Produktionsassistentin mitbringt und zäh die Konditionen aushandelt: »500 Rupien Lohn und Drehschluss um zehn Uhr. Basta!« Das sind etwa acht Euro für neun Stunden. So viel verdient ein Taxifahrer durchschnittlich am Tag und der Scout für die Vermittlung für jeden von uns. Die Italienerin kennt die Gepflogenheiten. Sie erzählt, dass der Hotelier aus ihrer Backpacker-Billigunterkunft den Scout benachrichtigt hat, um sie anzuheuern. Scouts verteidigen ihr Revier und bestechen Hotel- und Barbetreiber. »Mafia-Prinzip!«, sagt die Italienerin.

»Für mich seht ihr alle gleich aus«, sagt der Scout

Obwohl sie schon erfahren hat, dass Drehs oft länger dauern und manchmal sogar ausfallen, ist sie entschlossen, ihren Lebensunterhalt in Bollywood zu verdienen. So wie andere Ausländer, die in Mumbai leben. Mit etwas Glück bekommen sie eine kleine Sprechrolle als amerikanischer Arzt oder kanadischer Banker und verdienen mehr als eine Anfängerstatistin wie ich. Eine Hauptrolle im Werbefilm kann bis zu 400 Euro pro Tag einbringen. »Ein Star wird man allerdings nicht mit westlichem Aussehen«, wirft unser Scout ein. Er hat nicht gefragt, was wir können und wer wir sind. Was zählt, sind helle Augen, Haut und Haare. »Für mich seht ihr alle gleich aus«, sagt der Scout.

Berühmt werde ich heute also nicht, aber ich will ja auch nur einen Blick hinter die Filmkulissen werfen. Unser Scout schleppt uns wortlos mit. In Richtung Filmstudio, zur Traumfabrik Indiens. Zuerst im Taxi, dann Umsteigen in die Bahn. Ich bin nicht vorgewarnt, dass der Zug nicht wartet, bis alle eingestiegen sind. Ich renne. Vier Arme ziehen mich in den fahrenden Zug ohne Türen. Meine Tasche flattert im Fahrtwind. Ich spüre, wie Panik mein Gesicht verzerrt. Die Miene der Inder bleibt ungerührt.

Verschwitzt und verstaubt erreichen wir unser Ziel 40 Kilometer nördlich vom Zentrum. Noch sieht hier nichts nach moderner Filmproduktion aus. Von der belebten Straße gehen wir durch ein offenes Tor und erreichen das Studio über eine Schotterpiste. Von außen gleicht es einer abgewrackten Lagerhalle. Vor dem Eingang lungern Straßenhunde zwischen Kisten mit Filmutensilien herum. Innen blendet Neonlicht. Im Kunstnebel wuseln hundert hektische Inder, die den Dreh vorbereiten. Für die Filmhandlung wird ein Nobelclub nachgebaut. Besonders indisch sieht er nicht aus: DJ-Pult, Bar, Sofaecken und Tanzfläche mit funkelnder Discokugel – wie überall auf der Welt. Die Franzosen lassen sich auf eine Ledercouch fallen und sagen:

»Water, please!«

Regie, Regieassistenz, die Assistenz der Regieassistenz und Kostümbildner begutachten uns. Sie schnattern auf Hindi oder Marathi und schicken uns nach draußen, wo einige von der Filmcrew gerade Reis und Gemüse mit den Fingern essen. Wir sollen warten, warten, warten. Auf umgedrehten Kisten sitzen wir vor dem Studio. Ein Ohrenreiniger putzt die Ohren unseres Scouts mit langen Holzstäbchen; der Tontechniker versucht, uns gebrauchte Handys zu verkaufen.

Wir sollen Jeans-Miniröcke tragen, die nicht länger sind als zwei Handbreit

»Wovon handelt die TV-Serie eigentlich?«, fragt die Italienerin. Müde winkt der Scout ab. Der Plot sei zu kompliziert. »Es geht um vier Frauen, die ihre Träume erfüllen wollen«, nuschelt er dann doch noch. Ich frage ihn: »Was ist dein Traum? Willst du als Sharhuk Khan wiedergeboren werden?« Er grinst. Später wird er auch mitspielen: als Türsteher des Clubs.

Inzwischen haben die Hunde die Essensreste von den Tellern der Crew geschleckt. Danach essen Kinder aus dem nahe liegenden Slum die Brotreste vom Boden. Ein kleines Mädchen klaubt eine rohe Zwiebel auf und steckt sie in den Mund. Es kaut unbekümmert und hüpft davon. Uns beliefert die Filmcrew aus einem Restaurant mit mild gewürzten Speisen, um die westlichen Mägen zu schonen. Ich habe keinen Hunger mehr.

Wir verbrennen Zeit: schweigen, warten, beobachten, lesen, dösen und rauchen. Nach drei Stunden wird es hektisch: Der Australier und der Franzose werden von drei Indern in Anzüge gesteckt, die ihre Väter in den siebziger Jahren getragen haben könnten. Für uns drei Frauen liegen auf dem Treppenabsatz Stretchgürtel bereit, daneben Jeans-Miniröcke, die nicht länger als zwei Handbreit sind. »No!«, protestieren wir einstimmig. Und die indischen Statisten? Wieso dürfen die märchenhafte Roben tragen? Nach umständlichen Verhandlungen werden uns schließlich auch Abendkleider genehmigt – aus Polyester, in grellem Rot und mit Leopardenmustern. Sie riechen noch nach dem Statistenschweiß des Vortages. Wir sehen darin wie die Vorzeigepartygäste aus, die wir spielen sollen. Und das geht so: über die Treppe in den Club flanieren, den Manager begrüßen, an der Bar und in der Sofaecke einen Drink nehmen. Internationales Publikum bedeutet Prestige für einen indischen Clubbesitzer. Das gilt im wahren Leben ebenso wie im Fernsehen.

Schon in zwei Tagen wird diese Folge der Serie ausgestrahlt werden. Deswegen muss alles schnell gehen. Während mir eine lächelnde Inderin mit einem mehrfach gebrauchten Schwamm Make-up auf der linken Gesichtshälfte verteilt, sehe ich, dass die Französin zu meiner Rechten als Simpson-Figur geschminkt wurde. Für ihren sommersprossigen Teint gibt es nur gelbliche Abdeckfarbe, zum Bändigen ihrer verfilzten Haare keine Zeit. Rasta-Look und Glitzerabendkleid – anders geht es in der Eile nicht.

Plötzlich kommandiert mich der Scout zu sich. Er schiebt mich auf einen Barhocker und drückt mir ein Whiskyglas in die Hand, das eine Inderin zuvor dankend abgelehnt hat. Halb geschminkt, wie ich bin, werde ich für den Dreh der letzten Szenen positioniert. Hinter mir hämmert die Crew noch die Bar zusammen, vor mir wird der Boden gewischt, ein Scheinwerfer löst sich beinahe von der Decke. Eine der Hauptdarstellerinnen lacht affektiert, während ihr jemand künstliche Tränen in die Augen tropft. Langsam wird mir klar, warum die indische Filmindustrie produktiver ist als Hollywood. In einem Heer von Helfern erfüllt jeder eine Aufgabe, auch wenn sie nur darin besteht, Wasser für die Stars zu holen. Das wirkt auf den ersten Blick so unkoordiniert wie der indische Straßenverkehr, der sich letztendlich auch als effizient erweist.

Viel mehr als »Silence! Rolling! Action!« verstehe ich nicht während des vierstündigen Drehs. Ich lächele von meinem Platz an der Bar gefühlte hundert Mal die maskenhaft geschminkten Schauspieler an, die feierlich an mir vorbeiziehen. Ein wenig schäme ich mich dafür, im Neonlicht wie ein Geist mit zwei Gesichtsfarben auszusehen. Die frisch gestrichene Bar hat mein Kleid stellenweise schwarz verfärbt. Gern würde ich meine staubigen Globetrottersandalen gegen High Heels eintauschen.

Da kommt einer der männlichen Serienstars über die Treppe bis zur Bar und setzt sich direkt neben mich. Seine dichten schwarzen Haare sind steif gegelt, an seinem makellosen Hals baumelt ein falsches Diamantkreuz. Sein Lächeln ist weißer als das von Tom Cruise, seine Hautfarbe ein bisschen dunkler. Er tritt auf, um die große blonde Europäerin an der Bar anzuflirten. Ich bin froh, dass mein Lächeln eingefroren ist und ich nicht reden muss.

»Es ist zehn Uhr! Wir gehen!«, brüllt die Italienerin unseren Scout in der Pause an. Eben noch hat sie in der Umkleidekabine Bollywood-Tanzschritte von den indischen Statisten gelernt, jetzt pocht sie auf die Zeitabsprache. Und auch wir zeigen, lebhaft gestikulierend, auf unsere Armbanduhren. Endlich stehen wir im Mittelpunkt und hinterlassen doch noch einen bleibenden Eindruck am Set. Fassungslos schauen die Inder unserer Gruppenperformance zu. Wie bei jedem Dreh werden sie geduldig weiterfilmen. Bis in die frühen Morgenstunden.

Wir machen uns aus dem Staub. Schweigend setzen wir uns auf die einzige Bank im Zugabteil. Mindestens zwanzig müde Arbeiter starren uns an: die Fischverkäufer, die ihre stinkende Ware in einer Schale auf dem Kopf balancieren, die Handwerker mit ihrem rostigen Werkzeug. Plötzlich zückt einer sein Fotohandy und schießt uns ab. Der Jetlag-Australier, der den ganzen Tag gedöst hat, bleibt optimistisch: »Vielleicht sind wir schon Stars – und wissen es nur noch nicht!«

Information

Anreise: Von Deutschland nach Mumbai (früher Bombay) fliegen zum Beispiel British Airways, Jet Airways, Air India oder Emirates

Einreise: Für den Aufenthalt in Indien ist ein Touristenvisum erforderlich. Dieses wird in den indischen Konsulaten in Deutschland ausgestellt. Das Visum ist sechs Monate lang gültig und kostet 50 Euro

Übernachtung: Bentley’s Hotel (17, Oliver Road, Tel. 0091-22/882890, www.bentleyshotel.com ) ist eine günstige und saubere Unterkunft im Stadtteil Colaba. DZ mit Frühstück ab etwa 20 Euro

Veranstalter: Designer Tours (Tel. 04642/2089, www.designer-tours.de ) organisiert die Individualreise »Ein Tag in Bollywood« zu indischen Drehorten und den Filmstudios in Mumbai

Auskunft: Agentur Bollystars für »western looking people«, Amjad Khan, Tel. 0091-98/20838811, E-Mail: bollystars@hotmail.com

Touren durch Filmstudios: Bollywood Tourism organisiert dreitägige Reisen zu Mumbais Sehenswürdigkeiten und Studios, außerdem Halbtagestouren in die Filmistan Studios (ab 50 Euro). Tel. 0091-22/66662777, www.bollywoodtourism.com