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Christine Dohler

Allgemein, Sinn

Das Meditations-Geheimnis

In diesem Text steht, was Meditation wirklich bringt. Am Ende erfährt man das Geheimnis.

Jeden Morgen habe ich den wichtigsten Termin des Tages: mit mir. Ich hocke mich auf meine Meditationsbank, schalte die Gedanken ab, spüre meinen Atmen, meinen Körper. Und das mache ich nicht, um zu entspannen oder der Welt zu entfliehen. Ich verschließe nicht die Augen vor dem Leben. Im Gegenteil: Ich bin ganz da. Im Hier und Jetzt. Es gibt kein gestern und morgen. Es gibt nur den Moment und die ganze Kraft, die darin liegt. Volle Konzentration, volle Verbundenheit, volle Power.

Mittlerweile meditiere ich 45 Minuten pro Tag, manchmal mehr oder weniger. Angefangen habe ich vor rund zwei Jahren mit 10 Minuten pro Tag. Und dann wurde ich schnell süchtig. Ich werde oft gefragt: „Wie schaffst du das jeden Tag und woher nimmst du die Disziplin?“ Dahinter steckt vielleicht die Annahme, dass ich mich morgens auf die Meditationsmatte zwingen muss. Im Gegenteil! Ich wache jeden Morgen froh auf, weil der Tag mit Zen-Meditation beginnt.

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Nur atmen, nur sein

 

Das Schöne ist, dass es wirklich nichts zu erreichen gibt. Die Zen-Zone ist komplett ehrgeizfrei und mühelos. Doch der Effekt ist mächtig. Es ist nicht so, dass man nach einer Woche schon völlig entspannt ist und das Leben plötzlich ein einziger Flow wird. Doch nichts hat sich für mich bisher mehr gelohnt, als wirklich jeden Tag zu meditieren. Stück für Stück, wie beim Häuten einer Zwiebel, bin ich mir selber näher gekommen. Und was gibt es Wertvolleres, als authentisch zu werden, sich bei sich zu Hause zu fühlen. Ich bin klarer geworden, habe viel mehr Power und so schnell reißt mich nichts aus der Grundgelassenheit. Es ist wirklich so.

Doch alleine hätte ich es nicht geschafft. Ich meditiere regelmäßig in Gruppen und mit Freunden, das baut viel mehr Energie im Raum auf, von der alle sich was nehmen dürfen. Und das allerwichtigste sind Lehrer und Mentoren, die schon den Berg ein gutes Stück hochgeklettert sind und mir sagen können: „Jetzt geht es lieber rechts entlang, nun mach mal eine Pause und da ist ein Abgrund!“ Jeder muss sein Meditations-Zuhause finden. Meins ist im Zen. Ein klarer, pragmatischer, schnörkelfreier und kraftvoller Weg zur inneren, eigenen Mitte.

Das Wichtigste, und jetzt kommt das Geheimnis: Man muss es wirklich machen: jeden Tag meditieren! Augen zu, gerader Rücken, Knie tiefer als die Hüfte, nicht bewegen, nicht denken, Atmen beobachten. Mindestens 10 Minuten, besser mehr.

Meine Empfehlung zum Einstieg: Mein Online-Kurs, bald auf: www.christinedohler.de

Allgemein, Reisen, Selbsterfahrung

Wie geht Nichtstun?

Es ist eigentlich einfach – und dann wieder nicht: dieses Nichtstun. Aber es gibt Momente auf Reisen, da fällt der andere Wahnsinn einfach von einem ab…

Auf Island verbannte ich mich eine Woche in die Natur in eine Hütte fernab der Zivilisation. Ich wollte vor allem eins: Nichts.Aber dann tappte ich doch wieder in die Ablenkungsfalle und war den ganzen Tag aktiv, denn natürlich war der Ballast aus meinem Leben mit mir gereist: Ich warf (wütend) Steine in den Fluss, kletterte (neugierig) hinter Wasserfälle, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt (Nichts!) und redete mit allen anderen Menschen in der Hütte – obwohl ich lieber geschwiegen hätte. Und ich spürte diese Sehnsucht, nachts unbedingt das Nordlicht sehen zu wollen. Doch da man dieses Licht nicht einfach anknipsen kann und es auch keine konkreten Vorhersagen gibt, hockte ich drei Nächte vor der Hütte und starrte ehrgeizig in den Himmel, während drinnen die anderen schnarchten.

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Wasserfall im Osten von Island, nahe Höfn

Es passierte nichts und ich kam mir bei meinem Vorhaben zeitweise einsam bis lächerlich vor. Es machte noch nicht einmal Spaß, es war eher ein Kampf. In der vierten Nacht ging ich übermüdet, kraftlos früh ins Bett. Am nächsten Morgen erzählte jemand von den anderen Hüttenbewohnern, wie er zufällig auf dem Weg zur Toilette ein wunderschönes Nordlicht gesehen hatte. Er schilderte es in allen Formen und Farben. Und dass er alle geweckt hatte, nur ich hatte nichts gemerkt. In mir sammelten sich genau die Emotionen, denen ich keinen Raum mehr geben wollte: Neid, Wut, Trauer, Enttäuschung, Isolation.

In den nächsten Nächten hockte ich wieder draußen. Da tippte jemand an meine Schulter und sagte: „Komm wir gehen jetzt zusammen auf den Berg, dann sind wir näher am Himmel und können das Licht vielleicht besser sehen.“ Ich willigte weniger mit dem Verstand als mit dem Herzen ein, trapste in der absoluten Finsternis den steilen Berg hoch während automatisch das Gedankenkarussell losfuhr: „Wenn ich jetzt einen falschen Schritt mache, stürze ich den Abhang runter…Und was, wenn ich das Nordlicht wieder nicht sehe?…Auf was hast du dich da eingelassen?…Wieso kannst du nicht wie die anderen einfach mal schlafen gehen oder im Robinson-Club Urlaub machen…

Erschöpft vom Denken, vom Vorsatz Nichts zu tun, von der Suche, ließ ich mich auf der Spitze des Berges mit einem Atemzug fallen und streckte mich aus wie eine Marionette, bei der alle Fäden fallen. Ich schaute mit bedingungsloser Hingabe in den Nachthimmel und hörte endlich mit allem auf. Mühelos. Die Müdigkeit wurde dabei zu meinem Freund beim Fallenlassen. Ich spürte das weiche Moos unter mir und wie sich der Bauch meines Begleiters beim Atmen entspannt hob und senkte. Wie bei mir. Schöne, geteilte Leere. Nichts passierte – und doch so viel. Ich spürte Weite, Leichtigkeit, Verbundensein, Wahrhaftigkeit. Etwas öffnete sich. Wie lange das dauerte? Ich hätte es nicht sagen können. Es fühlte sich an wie eine endlose Meditationsrunde, vielleicht war es aber auch nur eine Minute. Ich weiß nur, dass ich mich plötzlich mit allem verbunden fühlte, auch mit mir und alles gut, ruhig, still war – obwohl ich von außen betrachtet irgendwo in Island auf einem finsteren, steinigen Berg lag. Ziellos. Ohne Taschenlampe.

Irgendwann gongte es in mir: Na, dann lass uns mal wieder runter gehen. Und da, als ich gar nicht mehr hoffte, wartete und sehnte, knipste jemand das Nordlicht an.

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Nordlicht im Himmel über Island

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Credit: Kimo Quaintance

 

Der Himmel riss über uns auf und…unbeschreiblich. Ich sah jedenfalls weiß und pink, mein Wegbegleiter grün. Dann ließ ich auch diese überwältigende Freude über das Ende dieser Suche ziehen – und ging endlich schlafen. Bei mir blieb das Gefühl: Alles ist da, alles ist möglich. Es gibt Momente – da fällt der andere Wahnsinn einfach ab.

Meine Empfehlung: Diese Meditation von Stephan Pende Wormland „Stay close – and do nothing“:

http://mindfuldreaming.org/stay-close-and-do-nothing/

Selbsterfahrung

Ich bin Statist. In Bollywood

Der Filmdreh zieht sich hin. Die Regie schreit »Full power!« ins Mikrofon. Am späten Abend wird noch einmal Stimmung gemacht für eine neue Szene: die Eröffnung eines Nobelclubs. Bollywood-Musik dröhnt aus den Boxen. Wie auf Knopfdruck flippen die indischen Schauspieler und Statisten aus, legen wilde Tänze hin. Ich bin mittendrin und doch nicht richtig dabei. Niemand traut mir und den anderen Europäern am Set zu, bei dem Spektakel mitzuhalten. Ich sitze an der Bar und wundere mich, in welche Welt ich da hineingeraten bin.

Ich spiele als Statistin in einer indischen Fernsehserie mit. Den Job habe ich auf der Straße in Mumbai bekommen, wo Scouts nach »western looking people« Ausschau halten. In der Stadt mit den größten Filmstudios der Welt sind die Teams auf Statisten mit westlichem Aussehen angewiesen. Denn viele Filmszenen spielen in London, Kanada oder den USA, werden aber fast alle hier gedreht. Einfach haben es die Scouts nicht. Wohl zieht der exotische Charme Bollywoods junge Individualtouristen an, doch die meisten legen nur einen kurzen Zwischenstopp in Mumbai ein, weil sie auf der Durchreise nach Goa sind. Ich bin geblieben. Ich wollte unbedingt zum Film.

Um die Scouts nicht zu verfehlen, halte ich mich an den Lonely Planet. Der führt mich zu den Lieblingsplätzen der Globetrotter, die zu Bollywoods idealen Komparsen zählen. Im Altstadtteil Colaba bummle ich die Hauptstraße entlang, probiere einen Cheesecake im internationalen Café Leopold, checke Mails in einem der Internetcafés und streife um das Gate of India, das Wahrzeichen der 20-Millionen-Metropole. Über die Bordsteinkanten flitzen hungrige Ratten. Daneben drängeln sich dauerhupende Autos, Rikschas und Motorräder. Die Straße staubt. Der Geruch von Sandelholz und Kardamom aus den Geschäften vermischt sich mit Abgasen und Hitze.

Sobald ich einmal innehalte, drängen sich Bettler und Verkäufer um mich, die große, blonde Europäerin. Reflexartig wehre ich ihr Werben und Bitten ab. Mir kommt es darauf an, irgendwann das Signalwort »Bollywood« aufzuschnappen. An einer Straßenecke, ein paar Meter vom Café Leopold, werde ich erlöst. Ein Inder spricht mich an: »Do you want to be an extra in a Bollywood-Movie? I will pay you!« Er streckt mir eine Visitenkarte mit funkelnden Sternen entgegen. Bollystars heißt seine Agentur. Für die könnte ich morgen eine Businessfrau auf einer internationalen Konferenz in Kanada spielen. Andere Scouts kommen dazu, bieten mir Rollen in einem Werbefilm an und als Hostess auf einer indischen Hochzeit. Schließlich entscheide ich mich für einen Dreh, der schon mittags losgeht: Noch heute werde ich Statistin in der indischen Fernsehserie Einfacher Traum sein.

Mein Scout mit der dunklen Sonnenbrille und einem etwas zu breiten Hollywood-Grinsen sieht nicht gerade vertrauenerweckend aus. Ich bin erleichtert, als ich mittags nicht allein am Treffpunkt McDonald’s in Colaba stehe. Vier Mittzwanziger sind noch dabei. Aus unterschiedlichen Gründen wollen sie am Dreh teilnehmen. Der arbeitslose Australier, der gerade erst gelandet ist, möchte »just some fun« haben. Das französische Paar mit den Rasta-Strähnen braucht etwas Geld für die Reisekasse. Die beiden leben ihren Traum: Ohne Reiseführer sind sie auf dem Landweg bis Indien getourt. Unterwegs haben sie Schauspielworkshops für Waisen organisiert, um den Kindern zu zeigen, dass aus jedem ein Star werden kann. Und dann ist da noch die zierliche Italienerin, die Erfahrungen als Produktionsassistentin mitbringt und zäh die Konditionen aushandelt: »500 Rupien Lohn und Drehschluss um zehn Uhr. Basta!« Das sind etwa acht Euro für neun Stunden. So viel verdient ein Taxifahrer durchschnittlich am Tag und der Scout für die Vermittlung für jeden von uns. Die Italienerin kennt die Gepflogenheiten. Sie erzählt, dass der Hotelier aus ihrer Backpacker-Billigunterkunft den Scout benachrichtigt hat, um sie anzuheuern. Scouts verteidigen ihr Revier und bestechen Hotel- und Barbetreiber. »Mafia-Prinzip!«, sagt die Italienerin.

»Für mich seht ihr alle gleich aus«, sagt der Scout

Obwohl sie schon erfahren hat, dass Drehs oft länger dauern und manchmal sogar ausfallen, ist sie entschlossen, ihren Lebensunterhalt in Bollywood zu verdienen. So wie andere Ausländer, die in Mumbai leben. Mit etwas Glück bekommen sie eine kleine Sprechrolle als amerikanischer Arzt oder kanadischer Banker und verdienen mehr als eine Anfängerstatistin wie ich. Eine Hauptrolle im Werbefilm kann bis zu 400 Euro pro Tag einbringen. »Ein Star wird man allerdings nicht mit westlichem Aussehen«, wirft unser Scout ein. Er hat nicht gefragt, was wir können und wer wir sind. Was zählt, sind helle Augen, Haut und Haare. »Für mich seht ihr alle gleich aus«, sagt der Scout.

Berühmt werde ich heute also nicht, aber ich will ja auch nur einen Blick hinter die Filmkulissen werfen. Unser Scout schleppt uns wortlos mit. In Richtung Filmstudio, zur Traumfabrik Indiens. Zuerst im Taxi, dann Umsteigen in die Bahn. Ich bin nicht vorgewarnt, dass der Zug nicht wartet, bis alle eingestiegen sind. Ich renne. Vier Arme ziehen mich in den fahrenden Zug ohne Türen. Meine Tasche flattert im Fahrtwind. Ich spüre, wie Panik mein Gesicht verzerrt. Die Miene der Inder bleibt ungerührt.

Verschwitzt und verstaubt erreichen wir unser Ziel 40 Kilometer nördlich vom Zentrum. Noch sieht hier nichts nach moderner Filmproduktion aus. Von der belebten Straße gehen wir durch ein offenes Tor und erreichen das Studio über eine Schotterpiste. Von außen gleicht es einer abgewrackten Lagerhalle. Vor dem Eingang lungern Straßenhunde zwischen Kisten mit Filmutensilien herum. Innen blendet Neonlicht. Im Kunstnebel wuseln hundert hektische Inder, die den Dreh vorbereiten. Für die Filmhandlung wird ein Nobelclub nachgebaut. Besonders indisch sieht er nicht aus: DJ-Pult, Bar, Sofaecken und Tanzfläche mit funkelnder Discokugel – wie überall auf der Welt. Die Franzosen lassen sich auf eine Ledercouch fallen und sagen:

»Water, please!«

Regie, Regieassistenz, die Assistenz der Regieassistenz und Kostümbildner begutachten uns. Sie schnattern auf Hindi oder Marathi und schicken uns nach draußen, wo einige von der Filmcrew gerade Reis und Gemüse mit den Fingern essen. Wir sollen warten, warten, warten. Auf umgedrehten Kisten sitzen wir vor dem Studio. Ein Ohrenreiniger putzt die Ohren unseres Scouts mit langen Holzstäbchen; der Tontechniker versucht, uns gebrauchte Handys zu verkaufen.

Wir sollen Jeans-Miniröcke tragen, die nicht länger sind als zwei Handbreit

»Wovon handelt die TV-Serie eigentlich?«, fragt die Italienerin. Müde winkt der Scout ab. Der Plot sei zu kompliziert. »Es geht um vier Frauen, die ihre Träume erfüllen wollen«, nuschelt er dann doch noch. Ich frage ihn: »Was ist dein Traum? Willst du als Sharhuk Khan wiedergeboren werden?« Er grinst. Später wird er auch mitspielen: als Türsteher des Clubs.

Inzwischen haben die Hunde die Essensreste von den Tellern der Crew geschleckt. Danach essen Kinder aus dem nahe liegenden Slum die Brotreste vom Boden. Ein kleines Mädchen klaubt eine rohe Zwiebel auf und steckt sie in den Mund. Es kaut unbekümmert und hüpft davon. Uns beliefert die Filmcrew aus einem Restaurant mit mild gewürzten Speisen, um die westlichen Mägen zu schonen. Ich habe keinen Hunger mehr.

Wir verbrennen Zeit: schweigen, warten, beobachten, lesen, dösen und rauchen. Nach drei Stunden wird es hektisch: Der Australier und der Franzose werden von drei Indern in Anzüge gesteckt, die ihre Väter in den siebziger Jahren getragen haben könnten. Für uns drei Frauen liegen auf dem Treppenabsatz Stretchgürtel bereit, daneben Jeans-Miniröcke, die nicht länger als zwei Handbreit sind. »No!«, protestieren wir einstimmig. Und die indischen Statisten? Wieso dürfen die märchenhafte Roben tragen? Nach umständlichen Verhandlungen werden uns schließlich auch Abendkleider genehmigt – aus Polyester, in grellem Rot und mit Leopardenmustern. Sie riechen noch nach dem Statistenschweiß des Vortages. Wir sehen darin wie die Vorzeigepartygäste aus, die wir spielen sollen. Und das geht so: über die Treppe in den Club flanieren, den Manager begrüßen, an der Bar und in der Sofaecke einen Drink nehmen. Internationales Publikum bedeutet Prestige für einen indischen Clubbesitzer. Das gilt im wahren Leben ebenso wie im Fernsehen.

Schon in zwei Tagen wird diese Folge der Serie ausgestrahlt werden. Deswegen muss alles schnell gehen. Während mir eine lächelnde Inderin mit einem mehrfach gebrauchten Schwamm Make-up auf der linken Gesichtshälfte verteilt, sehe ich, dass die Französin zu meiner Rechten als Simpson-Figur geschminkt wurde. Für ihren sommersprossigen Teint gibt es nur gelbliche Abdeckfarbe, zum Bändigen ihrer verfilzten Haare keine Zeit. Rasta-Look und Glitzerabendkleid – anders geht es in der Eile nicht.

Plötzlich kommandiert mich der Scout zu sich. Er schiebt mich auf einen Barhocker und drückt mir ein Whiskyglas in die Hand, das eine Inderin zuvor dankend abgelehnt hat. Halb geschminkt, wie ich bin, werde ich für den Dreh der letzten Szenen positioniert. Hinter mir hämmert die Crew noch die Bar zusammen, vor mir wird der Boden gewischt, ein Scheinwerfer löst sich beinahe von der Decke. Eine der Hauptdarstellerinnen lacht affektiert, während ihr jemand künstliche Tränen in die Augen tropft. Langsam wird mir klar, warum die indische Filmindustrie produktiver ist als Hollywood. In einem Heer von Helfern erfüllt jeder eine Aufgabe, auch wenn sie nur darin besteht, Wasser für die Stars zu holen. Das wirkt auf den ersten Blick so unkoordiniert wie der indische Straßenverkehr, der sich letztendlich auch als effizient erweist.

Viel mehr als »Silence! Rolling! Action!« verstehe ich nicht während des vierstündigen Drehs. Ich lächele von meinem Platz an der Bar gefühlte hundert Mal die maskenhaft geschminkten Schauspieler an, die feierlich an mir vorbeiziehen. Ein wenig schäme ich mich dafür, im Neonlicht wie ein Geist mit zwei Gesichtsfarben auszusehen. Die frisch gestrichene Bar hat mein Kleid stellenweise schwarz verfärbt. Gern würde ich meine staubigen Globetrottersandalen gegen High Heels eintauschen.

Da kommt einer der männlichen Serienstars über die Treppe bis zur Bar und setzt sich direkt neben mich. Seine dichten schwarzen Haare sind steif gegelt, an seinem makellosen Hals baumelt ein falsches Diamantkreuz. Sein Lächeln ist weißer als das von Tom Cruise, seine Hautfarbe ein bisschen dunkler. Er tritt auf, um die große blonde Europäerin an der Bar anzuflirten. Ich bin froh, dass mein Lächeln eingefroren ist und ich nicht reden muss.

»Es ist zehn Uhr! Wir gehen!«, brüllt die Italienerin unseren Scout in der Pause an. Eben noch hat sie in der Umkleidekabine Bollywood-Tanzschritte von den indischen Statisten gelernt, jetzt pocht sie auf die Zeitabsprache. Und auch wir zeigen, lebhaft gestikulierend, auf unsere Armbanduhren. Endlich stehen wir im Mittelpunkt und hinterlassen doch noch einen bleibenden Eindruck am Set. Fassungslos schauen die Inder unserer Gruppenperformance zu. Wie bei jedem Dreh werden sie geduldig weiterfilmen. Bis in die frühen Morgenstunden.

Wir machen uns aus dem Staub. Schweigend setzen wir uns auf die einzige Bank im Zugabteil. Mindestens zwanzig müde Arbeiter starren uns an: die Fischverkäufer, die ihre stinkende Ware in einer Schale auf dem Kopf balancieren, die Handwerker mit ihrem rostigen Werkzeug. Plötzlich zückt einer sein Fotohandy und schießt uns ab. Der Jetlag-Australier, der den ganzen Tag gedöst hat, bleibt optimistisch: »Vielleicht sind wir schon Stars – und wissen es nur noch nicht!«

Information

Anreise: Von Deutschland nach Mumbai (früher Bombay) fliegen zum Beispiel British Airways, Jet Airways, Air India oder Emirates

Einreise: Für den Aufenthalt in Indien ist ein Touristenvisum erforderlich. Dieses wird in den indischen Konsulaten in Deutschland ausgestellt. Das Visum ist sechs Monate lang gültig und kostet 50 Euro

Übernachtung: Bentley’s Hotel (17, Oliver Road, Tel. 0091-22/882890, www.bentleyshotel.com ) ist eine günstige und saubere Unterkunft im Stadtteil Colaba. DZ mit Frühstück ab etwa 20 Euro

Veranstalter: Designer Tours (Tel. 04642/2089, www.designer-tours.de ) organisiert die Individualreise »Ein Tag in Bollywood« zu indischen Drehorten und den Filmstudios in Mumbai

Auskunft: Agentur Bollystars für »western looking people«, Amjad Khan, Tel. 0091-98/20838811, E-Mail: bollystars@hotmail.com

Touren durch Filmstudios: Bollywood Tourism organisiert dreitägige Reisen zu Mumbais Sehenswürdigkeiten und Studios, außerdem Halbtagestouren in die Filmistan Studios (ab 50 Euro). Tel. 0091-22/66662777, www.bollywoodtourism.com

Allgemein, Reisen

5 Erfahrungen, die ich in Nepal fürs Leben gemacht habe

Jedes Land hält dem Reisenden einen Spiegel vor. Anderer Ort, anderes Gefühl. Auf Island begegnet man dem natürlichen Ich, es entsteht Weite im Herzen und Nähe zur Natur, in New York sagt man Hallo zum „Shopping-Ich“ und bekommt Lust auf ein Leben auf High Heels und in Neuseeland erwacht das „Trekking-Ich“. Ja, und in Nepal fühlt sich das „spirituelle Ich“ besonders wohl. Warum?

1. Gelassenheit, wirklich

Auf den Straßen von Kathmandu staut es sich, wegen der Abgase kann man kaum atmen und viele Menschen kämpfen jeden Tag aufs Neue um ein Einkommen. Doch schaut man in die Gesichter der Menschen, dann sind sie nicht so ergraut wie bei den Büromenschen in der Hamburger U-Bahn. Sie strahlen tiefen Frieden aus. Klingt nach Sozial-Kitsch? Vielleicht. Aber man spürt es ja selber nach ein paar Tagen: Ein Hupen kann einen nicht mehr aufschrecken, die Straßenhunde nicht mehr ängstigen und das Leben nicht mehr schocken: Was soll einem eigentlich passieren im Leben?

2. Der andere Blick

Als ich einen Mönch im Kloster in Kathmandu fragte: „Warum sind so viele Menschen im Westen unglücklich?“, lachte er erst glucksend auf und dann fing er an zu erzählen: „Ihr seid zu sehr Individualisten. Euer Ego ist dadurch kaum noch zu bändigen und ihr verliert den Bezug zur Gemeinschaft.“ Mhm. Und dann fügte er noch hinzu: „Stimmt es, dass viele von Euch den ganzen Tag in diesen hohen Gebäuden ohne Fenster und mit künstlichem Licht sitzen und sogar länger arbeiten, als sie müssen. Und nie raus gehen.“ Ja, stimmt, teilweise. So gesehen: Ist das Streben nach Selbstentfaltung eigentlich eine Ego-Falle?

3. Für andere da sein

Sinnsuche kann schnell zu einem Egotrip werden: Ich will Erfahrungen machen, ich will ein besseres Leben, ich will endlich diese nervigen Gedanken los werden. Ich, ich, ich. Aber was macht eigentlich Sinn? Eben! Wenn man die ganzen Erfahrungen macht, um sie an andere weiter zu geben und sowieso: Andere unterstützen. Selten habe ich in einem Land so hilfsbereite und selbstlose Menschen getroffen. Ein Beispiel: Auf einer Wanderung in den Bergen gab es einfach nirgends Hinweisschilder. Aber das brauchte es auch nicht. Kam ich vom Weg ab, war gleich ein Einheimischer da, rannte mir nach und zeigte mir die richtige Route. Wenn man im Kloster meditiert oder studiert hatte, dann gehörte es wie selbstverständlich dazu, dass man gleich jegliche Erkenntnis „spendet“. Also, man sollte sich direkt vorstellen, wie man seine Erfahrung mit allen Menschen teilt und insbesondere mit denen, die es gerade besonders nötig haben. Was könnte mehr Sinn machen, als weiter zu geben?

4. Sich selber nicht so wichtig nehmen

Ich habe Hunger auf alles außer Reis mit Curry, ich will jetzt eine weiche Matratze, ich will eine Heizung. In Nepal begegnet man ab und zu dem Jammer-Luxus-Ich. Auch als Abenteurerin schlottert man bei 10 Grad Zimmertemperatur in zwei Schlafsäcken und wenn die Dusche dann noch kalt bleibt, steigt das Selbstmitleid. Und, hey, solche Momente hat selbst der bescheidenste Rucksack-Reisende. Erzählt man einem Einheimischen davon und auch, dass man jetzt heute mal nicht Curry essen mag, dann lachen sie nur. Ja, lächerlich! Wie wir getrimmt sind, uns um unsere Bedürfnisse zu kümmern, unsere individuellen Gewohnheiten zu pflegen. Ist das wirklich wichtig?

5. Ins Leben vertrauen

Pläne? Strategien? Termine? Dates? Meetings? Die Frage ist, wer die eigentlich wann braucht? Die schönsten Momente meiner Reise waren völlig ungeplant: Ein Spaziergang mit einem Mönch von Kloster zu Kloster. Ein warmer Apfel-Hafer-Brei zum Sonnenaufgang. Ein Affe vorm Fenster. Eine Café-Bekanntschaft, die einem eine Praline schenkt. Flow-Momente, die aus der gelassenen Zufriedenheit eines Tages entstehen, der völlig offen beginnt und inspiriert endet. Wenn man doch im Inneren auf festem Boden steht, können einem die Wellen des Tages nicht mehr umnieten. Und alles ändert sich ständig, warum noch steuern? Warum machen wir überhaupt Pläne?

 

Am 25. April wurde Nepal von einem Erdbeben getroffen. Fassunglos und voller Mitgefühl denke ich an die Menschen und an das Land, das mir so viel gegeben hat. Om mani padme hum – das ist ein bekanntes Mantra, das man jetzt rezitieren kann. Was man jetzt tun kann, außer Mitgefühl entwickeln? Geld spenden (z.B. über Care: www.care.de)! Und trotzdem hinreisen, wenn es wieder möglich ist.